Besuch bei der Linkspartei in Linden

von Dienstag, Januar 15, 2013 0 No tags Permalink

In Begleitung der hiesigen Landtagskandidatin Jessica Kaußen wagte ich mich gestern Abend in „die Höhle des Löwen“, hier der leibhaftigen Linkspartei. Ich war sehr gespannt, wie viele Klischees sich für mich bewahrheiten würden. Erwähnt sei, dass sich zufällig vier Laatzener an einem Biertisch nahe der Bühne trafen. Laatzen ist halt überall gut vertreten. Den Auftakt macht ein türkisch-kurdisches Trio, es ist dunkel, Mann und Frau trinkt locker Bier aus der Flasche. Die Stimmung erinnert mich eher an ein Rockkonzert. Die 60er-Jahre-Halle auf dem Faust-Gelände in Linden ist gerappelt voll. Es lässt sich schwer sagen wie viele Leute hier sind und wie der Altersdurchschnitt ist, dafür ist es zu dunkel. Ich sehe viele ältere, aber auch sehr viele junge, Männer vielleicht ein Tick mehr als Frauen.

Diether Dehm, MdB begrüßt die Gäste und stimmt schon mal inhaltlich und ideologisch ein. Es gehe nicht darum, Wahlen zu gewinnen, sondern „Widerstand zu leisten, damit sich die Herrschenden die Zähne daran ausbeißen“, so Dehm. Da ist sie die erwartete Klassenkampfrhetorik und ich merke, zumindest für heute Abend bin ich auf der richtigen Veranstaltung. Genau das wollte ich ja sehen und hören. Es geht um Umverteilung von oben, wo reichlich ist, nach unten. „Reichtum umverteilen: Menschen vor Profite!“ heißt es in einem Flugblatt. Wenn man dort reichlich nehme, dann sei auch genug Geld in den öffentlichen Kassen, dann könne man auch bezahlen, was man hier fordere. Die Revolution macht halt keine halben Sachen, das ist mir klar. Natürlich muss dabei auch der Verteidigungshaushalt herhalten, ich hätte mich auch gewundert. Dass ein Großteil der Ausgaben Personalkosten sind, weiß er selber. Dehm spricht über die Situation in Griechenland und zieht Vergleiche zur Situation der Leiharbeiter in Deutschland. Man wolle die SPD schupsen einzuhalten, was sie verspreche, so der Bundestagsabgeordnete. Die Linke brauche auf jeden Fall auch außerparlamentarische Aktivitäten, weil Politik „oft hinter verschlossenen Türen“ stattfände. Genau, in dafür gewählte Gremien der repräsentativen Demokratie. Solidarisierung von Demonstranten und gewählten Volksvertretern kommt „ja immer gut“ denke ich mir. Warum macht man sich eigentlich noch die Mühe zu wählen? Könnte man doch alles leichter haben, aber ich will mal nicht so „kiebig“ sein. Natürlich ist man gegen Spekulanten und für gebührenfreie Bildung, alles andere wäre ja wohl auch hier undenkbar. Immer geht es um den Kampf „um das Teewasser und die Macht“, wie Dehm sagt. Zumindest sagt er es klar heraus.

Landeschef Manfred Sohn deklariert die Veranstaltung zur Solidarität für die europäische Linke und kommt innenpolitisch – natürlich – zur Forderung eines landesweiten gesetzlichen Mindestlohns, mindestens für Beschäftigte landeseigener Betriebe. Dies sei der Antrag Nr. 1, wie auch schon 2008, der beim Wiedereinzug in den Niedersächsischen Landtag gestellt werde. Die Agenda 2010 habe nur das Ziel gehabt, die Gewerkschaften zu schwächen, so Sohn. Er spricht von der Linken als der „Sozialgarantie“ und als „Spurstabilisator“ der sozialen Politik im „VW-Land Niedersachen.“ Landtagskandidatin Gülten Kelloglu spricht sehr emotionalen gegenüber den Genossinnen und Genossen über die Situation der Kurden. Ich spüre, wie schon häufig, dass bei der politisch linken Konkurrenz der Nahe Osten eine unglaubliche Anziehungskraft besitzt. Warum weiß ich nicht. Vielleicht komme ich irgendwann einmal dahinter.
Sahra Wagenknecht in Linden

Die Parteivorsitzende Katja Kipping kommt mit Schwung gleich zu dem, was das linksorientierte Publikum von ihr hören will. Sie spricht von der sozialen Situation kleiner Leute. Die Abschaffung der Praxisgebühr – durch die FDP – war natürlich ursprünglich eine Idee der Linken, wie Kipping sagt. Ich schmunzle mir einen. Schon schauen mich die Laatzener Linken an. Ich bleibe „cool“, auch wenn es an anderen Stellen „richtig zur Sache“ geht. Was wäre wohl gewesen, wenn ich hier meinen gelben Wahlkampfschal getragen hätte? In der dunklen Halle hätte ich mir wohl den einen oder anderen „Knuff“ abholen können. Natürlich gehöre Hartz IV abgeschafft und Mieterhöhungen verboten. Ja aber wie kommen wir aus der Situation heraus, dass Wohnraum fehlt, weil in Ballungsgebieten mindestens zwanzig Jahre im Wohnungsbau „geschlafen“ wurde? Wie soll ein Wohnungseigentümer sein Eigentum pflegen, wenn man alles deckelt? Strompreissteigerungen sind pervers, hier müssten die Stromkonzerne angegangen werden, so die Parteichefin. Es klingt nach Verstaatlichung. Privatisierungen von Kliniken gingen auch nicht. Mir ist die Sicht zu sehr auf das eigene politische Spektrum verkürzt, Lobbypolitik eben, wie sie ja auch sein soll und wohl auch muss. Endlich fällt ein konkretes Wort: Der Spitzensteuersatz solle bei 75 Prozent liegen, fordert Kipping. Unklar bleibt, wer darunter fallen soll, konkrete Zahlen gibt es nicht, nur so eine „gefühlte Vermutung“ der „da oben“. Wo aber gibt es Ansätze, die zum Nachdenken anregen, so nach dem Motto „es könnte auch alles ein wenig komplizierter sein als wir es hier darstellen?“ Differenzierungen sind hier fehl am Platz. Aber gut, dafür ist ja auch Wahlkampf. Beispiel Mindestlohn: Er soll herhalten gegen Altersarmut, aber reicht das am Ende auch?

Schwarz-Gelb sei gefährlich für Europa, so Kipping, die ebenfalls Hartz IV mit Griechenland vergleicht und ich wage die Vermutung, dass die Lage in Griechenland fürchterlich ist, man aber auch die Gründe für diese Entwicklung sehen muss. Griechenland hat niemals die Kriterien zur Aufnahme in den Euro erfüllt. Darüber kein Wort. Deutschland solle „endlich eine friedliche Außenpolitik“ betreiben. Bei letzterem komme ich dann doch in Fahrt. Macht man es sich hier nicht viel zu einfach? Wo ist beispielsweise die Kritik an der aktuellen Afrikapolitik der französischen Sozialisten unter Präsident Hollande, speziell in Mali? Wo ein faires Wort darüber, dass Deutschland Lazarette liefern werde? Nichts. Als Abschluss und zugleich Höhepunkt ihrer Rede steht die Forderung, Banken und Spekulanten „zur Kasse“ zu bitten. Das Publikum, dass sie im Griff hat, ist schier begeistert. Wer fragt da noch nach Details, ob nicht vielleicht die eigene Lebensversicherung auch Teil dieses „verachtenswürdigen Casino-Kapitalismus“ sein könnte. Es ist eben doch alles etwas komplexer als vermutet.

Sahra Wagenknecht „erscheint“ auf der Bühne und hat sofort das Publikum für sich eingenommen. Es gehe darum, wieder in den Niedersächsischen Landtag einzuziehen und bei der Bundestagswahl zu zeigen, dass Herr Steinbrück überhaupt keine Alternative zu Frau Merckel sei. Viel lieber wäre dieser wohl Sparkassendirektor geworden, legt die stellv. Fraktionsvorsitzende los. Insgesamt könne es nicht darum gehen, Verhältnisse schön zu reden, sondern die Verhältnisse zu verändern. Ist das nicht der alte Marx? Ist das nicht der alte Zankapfel zwischen Sozialdemokraten und Kommunisten? Na wahrscheinlich kenne ich da zu wenig der so wichtigen feinen Details, über die sich die „Linken“ so gerne untereinander kloppen. Mir fehlt da bestimmt die nötige Bewusstseinsstufe, aber spannend ist der Satz. Er riecht nach Revolution! Richtig gut finde ich, dass Wagenknecht über die Probleme Kleiner und Mittlerer Unternehmen (KMU), also dem klassischen deutschen Mittelstand spricht, dem die Banken auch das Leben schwer machen können. Aber kaum habe ich das zur Kenntnis genommen, folgt die ultimative Keule gegen den angeblichen Zynismus der FDP gegenüber ärmeren Bevölkerungsschichten. (Forderungen und Durchsetzen eines höheren Zuverdienstsatzes für Hartz IV-Empfänger durch die Bundesregierung – Fehlanzeige). Deshalb verdiene es die FDP auch, „mit Schimpf und Schande aus dem Bundestag zu fliegen“. Das Feindbild stimmt also. Es brandet riesiger Applaus auf. War wohl doch besser, dass ich meinen gelben Schal zu Hause gelassen habe … Meine Tischnachbarn aus Laatzen schauen mich fast mitleidig an. Nun kommen der Mindestlohn, Altersarmut, Gesundheitskosten, Leiharbeit als moderne Form der Sklaverei und die gesamte Agenda 2010-Politik von SPD und Grünen als Gründungsanlass der Linkspartei. Die großangelegte Bankenrettung sei der „real existierende Wahnsinn“ (Assoziationen für mich nicht ausgeschlossen!), Politik müsse die Rote Karte zeigen, so Wagenknecht. Bankenrettung könne es nicht um jeden Preis geben, weil ja nicht den Menschen in Griechenland geholfen werde, sondern „deutschen Banken“. Selbst wenn es so ist. Sagt Wagenknecht ihren Zuhörern auch, dass dann auch der „Spargroschen“ der deutschen Sparer weg sein kann, wenn man einfach Banken Pleite gehen lässt? Nein. Mit keinem Wort. Sie endet ihre Rede mit „ich danke euch“ und bewegt sich „wie die Dietrich“ hervorragend inszeniert ganz langsam von der Bühne. Hier hat sie potentielle Wähler begeistert.

Mir fällt auf, dass die Argumente – von wenigen recht guten Attacken ausgenommen – insgesamt weniger polemisch waren als erwartet. Man ist da halt ideologisch weiter: Alles wird eingebaut in das Große Ganze der Weltrevolution, da hält man sich mit Kleinigkeiten nicht auf. Warum auch, wenn das Weltbild stimmt. Voll mit soviel anderen Ansichten verlasse ich das Geschehen. Die Gefahr, politischer Konvertit zu werden, ist für mich definitiv nicht in Sicht. Am späten Abend aber dann die Nachricht des Aus- und Übertritts des jahrzehntelangen SPD-Mitgliedes Sigrid Leuschner zur Linkspartei. Jetzt haben „die eine mehr“.

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